Einer der beliebtesten Ansätze zur Beschreibung des Wesens der Religion stammt von Paul Tillich (1886-1965). Der deutsch-amerikanische Theologe und Religionsphilosoph vertritt dabei die Auffassung, dass es sich bei der Religion um die Dimension der Tiefe handle. Während sich unser Alltagsleben hauptsächlich an der Oberfläche in der Horizontalen befindet, spricht Religion die vertikale Ebene an und erreicht so Tiefendimensionen in unserer Existenz. Erlebnisse von Sinn und Bedeutung, von Leben und Tod, von Grenzen und ihren Überschreitungen, von Liebe und Vergebung überschreiten das Alltägliche. Religiöse Feste und Bräuche, Geschichten und Mythen, Rituale und Handlungen erreichen dabei eine Tiefendimension in unserem Leben, wie sie nur religiöse Symbole vermitteln können. Das tiefste Symbol dieser Dimension ist Gott selbst. Der Begriff Gott steht bei Tillich als Symbol für das, was uns Menschen unbedingt angeht. Das letzte, das tiefste Anliegen des Menschen ist das, was unserem Leben Sinn gibt, und für das jeder Mensch eine Antwort im Leben sucht.
Tillich sucht wie anderen Religionsphilosophen vor ihm (Otto, Eliade, Fromm) nach einem ganz eigenen Bereich für die Bedeutung des Religiösen. Und er findet ihn im Bereich der menschlichen Existenz, in den wichtigsten und letzten Fragen der Menschen, in den tiefsten und innersten Winkeln unserer Seele, die für jeden Menschen von Bedeutung sind, selbst dann, wenn sie mit Religion nichts anfangen können. Deshalb gibt es für Tillich keine festen dogmatische Begriffe; der Zweifel ist der ständige Begleiter des Glaubens und nur in der Tiefe finden wir, was wir im Leben immer gesucht haben.
Religionen sind zunächst und vor allem eine Großerzählung, die Sinn stiftet und diesen mittels Symbolen und Ritualen organisiert. (Alexander Grau)